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Vorher - nachher. Das Helle ist bereits restauriert (Foto: CS). |
Der Werkzeugkoffer ist voll: Pinsel und Spachtel liegen darin, Hammer und Zollstock, Wattebäusche und Zahnarztbesteck. Mit diesen Utensilien arbeitet die Osnabrückerin
Lena Wissing, studierte Restauratorin. Zurzeit steht der Koffer bei den Eltern im Keller, denn dort hat Lena ihre Werkstatt eingerichtet. Der Beutel mit der Watte ist noch offen – in den letzten Stunden hat Lena immer wieder kleine Fetzen davon um ein Holzstäbchen gewickelt, um Schmutz von einem alten Gemälde abzutragen. Daneben liegen ein Zahnarzt-Piekser und eine Pinzette, mit denen sie die Rückseite einer Leinwand bearbeitet hat. Hier unten im Keller wird viel gearbeitet, viel gefriemelt.
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Die Lieblingswerkzeuge (Foto: CS). |
Vor einem Jahr hat Lena ihr Studium in Konservierung und Restaurierung an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst (
HAWK) in Hildesheim abgeschlossen. Seitdem ist sie freiberuflich tätig, wie die meisten ihrer Berufsgenossinnen (nur 3 von 30 Mitstudierenden waren Jungs). Mal arbeitet sie außer Haus, zum Beispiel an den Altären alter Kirchen. Mal bekommt sie Gemälde zur Restaurierung oder zur Pflege in den Keller geliefert. Gerade hat Lena einen Kostenvoranschlag für die Restaurierung eines Gemäldes aus dem 19. Jahrhundert geschrieben. Zu ihrer Arbeit zählt nicht nur das Praktische, sondern auch die Dokumentation der Arbeit, und die Beratung von Kunden.
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Friemelarbeit (Foto: CS). |
Lenas Fachgebiet ist die Pflege von Gemälden und sogenannten „gefassten Holzobjekten“. Gefasst ist ein Holzobjekt immer dann, wenn es von Farbe oder anderen Überzügen bedeckt ist: Altäre, Holzfiguren, aber auch manche Fachwerkbalken gehören dazu. Um solche Gegenstände zu pflegen und zu restaurieren, bedarf es vieler feiner Pinsel, genau dosierter Lösungsmittel und einer Menge Fingerspitzengefühl. „Für die meisten Leute ist diese Friemelei eine Zwangsarbeit“, sagt Lena, „und man wird auch nicht reich damit. Deswegen muss man die Arbeit mit alten Gegenständen wirklich lieben, also seine Passion zum Beruf machen.“ Außer Lena Wissing haben diese Passion deutschlandweit nur wenige tausend andere Menschen gewählt. Im
Verband der Restauratoren sind rund 2.500 Mitglieder registriert, sagt Verbandssprecherin Gudrun von Schoenebeck.
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Lösungsmittel (Foto: CS). |
Weltlicher Reichtum mag für Lena in weiter Ferne liegen, aber reicher an interessanten Erfahrungen ist sie bereits geworden. Besonders aufregend für sie und eine Kollegin war kürzlich der Fund einer alten Wandbespannung in einem Haus in Lüneburg. Hinter einer profanen Rigipswand tauchte es auf – ein Textil aus dem frühen 18. Jahrhundert, ein echter Schatz. Zur Aufgabe gehörte für Lena und ihre Kollegin auch, das Objekt zeitlich einzuordnen. Dabei halfen Säulendarstellungen, deren Stil wahrscheinlich erst mit
Gian Lorenzo Bernini (1598-1680) in Europa Einzug hielt. Im Beruf des Restaurators berühren sich handwerkliches Können und kunstgeschichtliches Wissen.
Der Umgang mit den alten Gegenständen hat sich über die Zeit gewandelt, erzählt Lena: Während Gemälde und Figuren früher oft mit kräftigen Farben aufgehübscht wurden, will die Restaurierung das Altern eines Gegenstandes heute bewusst einfangen. Das restaurierte Gut soll seine Geschichte nicht verlieren.
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Ein jedes Ding an seinem Ort (Foto: CS). |
Wenn zum Beispiel eine alte Altarbemalung restauriert wird, dann wird nicht einfach neuer Lack aufgezogen. Wo die alte Farbe sich wölbt, da wird sie vielmehr behutsam wieder angeklebt. Der Clou ist dabei der Kleber. Er wird aus der sogenannten
Hausenblase gewonnen, das heißt: aus der Schwimmblase eines Störs. Diese Blase wird in warmem Wasser aufgelöst, wodurch eine Art organischer Klebstoff entsteht, Fischleim genannt. Dieser ist deswegen so beliebt, weil er ähnlich viel Eiweiß enthält wie die Bindemittel in alten Farben, die zum Teil aus Eiern gemacht wurden. Der Kleber soll so zum organischen Teil des Ganzen werden.
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Den Leim aus der Hausenblase erwärmt Lena mit
einem Babyflaschenwärmer (rechts im Bild), wenn sie
außer Haus arbeitet (Foto: CS). |
In den kommenden Wochen wollen Lena und ihre Kollegin noch einmal nach Lüneburg, um ein weiteres Stück der Wandbespannungen aus dem frühen 18. Jahrhundert in Augenschein zu nehmen. Möchte Lena eigentlich selbst in einer Zeit leben, deren Gegenstände sie mühsam rekonstruiert? „Nein, ich hab ja rote Haare – ich wäre doch sofort als Hexe verbrannt worden!“ Die Restauratorin lebt in der Gegenwart: Nach dem Interview geht sie mit ihrer Schwester schwimmen, im
Nettebad im
Sonnenhügel.
Christian Schepsmeier
Siehe auch:
Die Arbeitswelt, Folge 1: Australische Waren in Osnabrück
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