Montag, 13. Mai 2013

Jedem sein eigenes Konzert

Das Berliner Alphorn-Orchester
vor dem alten Zentralflughafen (Foto: CS).
300 Hektar Fläche sind ganz schön viel für einen Park: In Berlin gibt es keine größere Freifläche als das ehemalige Tempelhofer Flugfeld. Hier stoßen die Bürger selten aneinander, selbst wenn sie - an Wochenenden und Feiertagen - zu Hunderten oder Tausenden auf die Start- und Landebahn und auf die Wiesen strömen. Immer freie Bahn, freie Sicht, und auch freies Hören, denn der Wind bläst stetig über die größtenteils baumlose Fläche. Jedes Geschnatter bleibt erst an seinem privaten Ort, und wird dann schnell hinweggefegt.

Blowing in the wind.
Für ein Konzert ist das Tempelhofer Feld, mindestens das hat sich am vergangenen Wochenende herausgestellt, ein merk-würdiger Ort. Denn jeder Klang verschwindet in Luftwirbeln und Bodensenken so schnell wie er gekommen ist, und ohne Bühne und Tribüne kann es auch selten Sichtkontakt zwischen Musikern und Zuhörern geben. Das Projekt "Airfield Broadcast" hat diese Effekte von Freitag bis Sonntag provoziert und ausprobiert - an jedem der drei Tage für je eine Stunde.

Ein kleiner Ausschnitt aus 300 Hektar Fläche.
Gruppen von Musikern, aber auch Solisten, zogen in asymmetrischen Bahnen über das Feld.  Einige sangen, andere trommelten, manche spielten das Alphorn. Hie und da hielten die Gruppen an, spielten ein paar Takte, und zogen dann weiter. Oft begegneten sie sich, und korrespondierten in Gestalt musikalischer Frage-Antwort-Spiele. Momentweise schlossen sich auch komplexere Orchester zusammen. Ob ein großer Plan das Zusammenspiel en detail organisiert hat, ist mir nicht bekannt. Das Konzert vermittelte eher den Eindruck einer lose abgesprochenen Begegnung von Musikern mit einer zufälligen Menge von Gästen (denn das Flugfeld stand, wie an jedem Tag, jedem offen, und keiner musste Eintritt zahlen).

Umsonst und draußen.
Jeder Zuhörer erlebte dabei sein eigenes Konzert. Denn jede Körperdrehung ließ neue Eindrücke in den Vordergrund treten, und andere verschwinden, und jeder Schritt veränderte die Konfiguration des Ganzen - das galt für die Schritte der Zuhörer ebenso wie für die Schritte der Musizierenden. Es war möglich, sich fern zu halten und Nähe zu suchen, sich ab- und hinzuwenden, sich zu öffnen und zu schließen: freie Platzwahl at its best. Ab und zu wirbelte auch eine singende Frau auf einem Fahrrad wie zufällig über die Landebahn, und modifizierte das Konzert für ihre unmittelbare Umgebung nochmals.

Die Gesichter der Zuhörer, die sich mal in Trauben um die Musiker sammelten und mal schlendernd sinnierten, ließen Freude erahnen. Fliegende Töne trafen auf Ohren. Die neueste Pioniernutzung des Tempelhofer Feldes vermochte Gedanken von Enge zu befreien.



Christian Schepsmeier 


vgl. auch: http://facettenneukoelln.wordpress.com/2013/05/11/musikalischer-teppich-furs-tempelhofer-feld/


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